Ich möchte euch heute an den Impressionen meines wohl schönsten Laufes, den ich seit meines achten Lebensjahres gemacht habe, teilhaben lassen. Es war am Nachmittag an Allerheiligen 2018. Den Text habe ich direkt danach verfasst.

Totenstille. Totenstille bis auf das Rauschen des Windes um meine Ohren. Ich biege nach rechts und plötzlich die Stille. Keine Autos, keine große Straße. Nur der Wind, mein ruhiger Atem und ich. Keine Menschen zu sehen, keine Tiere. Die Sonne hinter den Wolken, die Himmelsstimmung Richtung Dämmerung. Und immer das Rauschen des Windes. Die Sicht klar, fast föhnartig. Die Temperatur warm, doch frisch. Ich höre meine Schritte; mein Puls ist nicht spürbar und der Atem nicht hörbar. Ich bin entspannt. Frei von Gedanken und inmitten wunderschöner Natur. Totenstill. Alles scheint unangetastet und nicht belebt. Es wirkt alles grau und unbelebt, doch so ist es nicht. Es ist alles so ruhig still. Wie mein Atem. Ich laufe. Bergauf. Vorbei an den beiden eingezäunten Schafweiden; doch die Schafe nicht zu sehen. Doch, dort, da ganz rechts oben beim Wald. Dort sehe ich sie. Sie stehen still, fressen Gras, aber ihre Bewegung ist kaum sichtbar. Sie sind zu weit weg. Ich laufe weiter. Der Puls stets ruhig, obwohl ich schnell und bergauf unterwegs bin. Ich bin schneller als sonst, ich weiß nicht warum. Aber es macht mich glücklich.

Ich genieße die Natur, laufe weiter. Immer bergauf. Der Wind bläst um meine Ohren, das Gras bewegt sich. Auch die Tiere im nächsten Garten nicht hörbar. Es ist still. Totenstill. Kein Leben hinter der lebendigen Gartenhecke. Doch. Auch dort. Nur still. Und ruhig. Nicht sichtbar. Mein Blick hinauf auf den Hügel zu den Häusern. Alles ruhig.

Es ist Allerheiligen. Ein Fest für die Verstorbenen. Natürlich kein Party-Tag. Aber es beruhigt mich. Der Gedanke an Verstorbene macht mir keine Angst. Rechts von mir ist Wald. Bald auch links. Ob ich mich fürchte? Nein. Die Stille bekräftigt mich. Ich laufe weiter. Genieße den frischen Wind. Laufe schneller. Der Puls still. Wie die Natur. Keine Gedanken. Alles ist schön. So ruhig, so unangetastet. Totenstill. Wie schön es hier ist.

Ich bin oben. Das war also das Aufwärmen. Ich bin ganz nahe am Waldrand. Jetzt heißt es, die Ohren zu spitzen. Die Straße ist unübersichtlich, ein Auto könnte mich übersehen. Doch ich laufe. Ohne Angst. Ich fühle mich stark. Stark wie die Bäume, die dem Wind standhalten. Mir geht es gut. Ich liebe die Landschaft. So schön, so weit, so ruhig.

Der Wind wird weniger, ich werde schneller. Meine Gedanken sind frei. Totenstill. Ich schaue, ich nehme wahr, aber denke kaum. Es ist schön, ich fühle mich wohl. So wohl wie lange nicht mehr. Wieso? Die Natur. Die Totenstille. Die Landschaft. Keine Menschen. Keine Autos. Viel Wiese und Wald, ein weiter Blick in die Ferne. Gebirge, Wolken, Hügel. Ich fühle nichts. Keine Schmerzen, keine Anstrengung. Ich bin; im Hier und Jetzt. Ja, ich bin im Hier und Jetzt. Ich nehme jede Sekunde wahr wie keine andere. Tat ich wohl noch nie so zuvor. Ich lausche dem Wind. Meinem Atem. Meinen Schritten. Ich werde schneller. Der Atem wird schneller, der Puls tut es ihm gleich. Doch keine Anstrengung. Totenstille. Der Blick auf das Gebirge. Plötzlich eine ganz andere Aussicht. Ein Panorama: Gebirge, Berge, Flüsse, Hügel, Wiesen, Felder. Ich sehe Kirchen, höre Hirsche. Alles schon wieder weg. Es geht bergab. Ich werde schneller, mein Atem langsamer. Meine Gedanken im Hier und Jetzt. Ich laufe. Nein, ich schwebe. Ich fühle mich leicht und stark. Kräftig und schnell. Alles ist so still. Sogar meine Schritte. Ich höre mich kaum. Der Wind ist weg. Links Häuser, rechts Häuser. Alles scheint nicht mehr ruhig, stressig. Ein Auto kommt mir entgegen. Die Insassen schauen auf mich. Ich fühle mich unwohl. Doch ich laufe weiter. Das Geräusch ist vorüber und ich besinne mich wieder in die Natur.

Vor mir die Straße und die Berge. In der Ferne ein galoppierendes Pferd. Ich passe mich ihm an und werde schneller. Ich fühle mich wieder frei. So frei wie das Pferd. Der Wind kommt wieder auf, die Häuser sind zu Ende. Links ein Feld, rechts ein Feld. Ich fühle mich wie neugeboren. Auf einmal alles wie zu Beginn. Ich, alleine, in der Natur. Nur der Wind, mein Atem und ich. Es wirkt alles still. Die Häuser verdunkelt, keine Menschen. Keine Tiere, keine Autos. Die Sonne hinter den Wolken, die Himmelsstimmung Richtung Dämmerung. Ich fühle mich glücklich.

Ich laufe bis zur großen Straße, muss sie queren. Kein Problem. Keine Autos. Doch ich schaue und höre. Nach links nach rechts, nach vorne, nach Autos. Ein zweites Mal. Ein drittes Mal. Schnell hinüber. Es geht weiter bergab. Das Gebirge nicht mehr zu sehen. Dafür eine große Wiese. Sie ist schön. Ich kenne sie sehr gut. Ich sehe sie auch von zu Hause aus; aus der Küche. Sie zieht mich an. Ich mag sie. Doch ich laufe weiter. Ich laufe und atme leise. Der Puls sehr niedrig, die Schritte leise. Ich bin schon lange unterwegs. Doch ich bin nicht müde. Ich fühle mich frei. Woher kommt die Kraft? Die Ausdauer? Die Kraft und Ausdauer meiner Beine und Lunge und die Ausdauer meiner Psyche? Schwimmen. Definitiv. Und keine Gedanken. Diese sind ebenfalls daran beteiligt. Totenstill. Ich laufe weiter. Endlich komme ich ganz nach unten. Es geht gerade dahin.

Die Pferde! Ich sehe die beiden Pferde! Sie machen mich so glücklich. Sie sehen so schön aus. Sie stehen und fressen. Am liebsten würde ich auf ihnen reiten. Doch ich laufe weiter. Wie schön diese Kreaturen sind. So rein, so gepflegt, so harmonisch und ruhig. Sie sind wunderbar. Ich laufe vorbei an alten Bauernhäusern, grüße die Bewohner mit einem freundlichen Lächeln, sie grüßen zurück. Sie grinsen. Das macht mich glücklich. Vorbei an den nächsten Häusern. Es geht bergauf. Die Häuser liegen hinter mir. Ich bin alleine. Umgeben von Natur. Links gelbe, große Blumen. Ich kenne sie nicht. Doch sie sind schön. Sie strahlen wie die Sonne. Sie vermitteln Fröhlichkeit. Mein Puls wird schneller, ich werde langsamer. Die Schritte kleiner, aber die Beine nicht müde.

In der Ferne sehe ich eine riesengroße Wiese. Sie sieht so weich aus. Weich, unangetastet, wie neu geschaffen. Ob ich dort hinlaufen soll? Nein, ich bleibe am Weg. Ganz oben am Berg sehe ich einen Radfahrer. Einsam. Schnell. Er verschwindet, ich laufe weiter. Ich laufe hinauf, gebe alles, um ins Schwitzen zu kommen. Vergebens. Ich bin oben. Ich sehe den Radfahrer wieder – er kommt aus der großen Wiese gefahren. Ich grüße ihn; er grüßt zurück. Ich kenne ihn nicht. Ich laufe weiter. Der Wind ist weg und ich sehe die Berge wieder. Mir wird warm. Ich fühle mich gut. Ich ziehe den Pullover aus, bleibe dabei nicht stehen. Das tut man nicht. Ich laufe. Ich atme. Ich nehme wahr. Totenstill. Wie habe ich diese Natur verdient? Diese Landschaft? Mir scheint, als gehöre mir alles allein. Die Flora und Fauna, die Wiesen und Felder. Jeder Baum. Es geht immer noch leicht bergauf, ich mag das. Mein Puls ist immer noch höher als normal, aber ich nehme das Herz wahr. Es arbeitet. Ich arbeite. Mein ganzer Körper arbeitet. Doch nicht das Gehirn. Es hat abgeschaltet seit dem Weglaufen. Einfach abgeschaltet. Wie das geht? Totenstille. Und Natur. Keine Menschen, nur ich. Alleine in der Natur, am Laufen. Ein Geheimrezept. Keine Technik, kein Internet, keine Musik. Keine künstlichen Reize. Nur die Natur. Der Wind, die Wolken, die Landschaft. Und ich. Ich mit meinen Laufschuhen. Ich, frei von meinen Gedanken, wie neugeboren und leicht verschwitzt. Ich in meinem Element: In der Natur, beim Laufen. Kein rasselnder Schlüssel, kein Fluss. Keine Geräusche. Nur der Wind, meine Schritte, ich und mein Puls. Totenstill.

Die letzten Meter. Schade. Ich habe noch so viel Energie. So viel wie lange nicht. Rechts ein Hügel mit vielen Erinnerungen, links Fischteiche. Fischteiche mit viel Erinnerung. Vor mir die Häuser des Ortes, hinter mir die Siedlung. Ich bin also wieder umgeben von Natur: Links das Feld und die Teiche, rechts die Wiese. Ich genieße. Mein Puls ist ruhig, ich atme langsam. Mir geht es gut. Ich bin mit mir im Reinen und Klaren. Ich mag mich. Nein, ich liebe mich. Ich laufe. Bald ist die Stille vorbei, ich muss zur Straße. Doch ich laufe voller Elan und genieße. Genieße die Ruhe vor dem beginnenden Ort. Es geht kurz bergauf, links Häuser, rechts Häuser. Doch erneut: alles still. Ruhig. Unbelebt und totenstill. Aber so ist es nicht. Ich weiß das. Doch ich genieße es. Ich bin gern allein.

Die Straße in meinem Blickfeld. Meine Beine tragen mich hin, obwohl mein Gefühl nicht will. Ich werde schneller, denn mein Puls ist niedrig. Ich atme. Ich atme die gute natürliche Landluft. Sie riecht gut. Ich bin glücklich. Ich laufe entlang der großen Straße. Ein paar Meter noch und ich bin daheim. Es ist so schön. Es wird langsam finster. Ich freue mich auf daheim. Doch ich genieße jeden Augenblick, jede Sekunde, jeden Schritt. Ich laufe. Ich schaue zum Himmel, die Sonne verschwindet hinter dem Hügel. Der Himmel verfärbt sich und wird rot. Ich biege in meine Straße, lasse den Himmel hinter mir. Die letzten Meter werde ich langsamer. Ich laufe aus, atme den letzten Ballast aus mir hinaus und bleibe stehen. Ich schaue in den Himmel und bin. Ich lausche. Ich höre den Wind. Es ist still. Ich bin still. Totenstill.

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4 Comments

  1. Toller Text und das Beste daran, ich kenne die Laufstrecke!!

    1. Danke! Das denke ich mir – aber das musst du mir noch beweisen, dass du nicht falsch liegst :))))

  2. Toller Text und das Beste daran, ich kenne die Laufstrecke!!

    1. Danke! Das denke ich mir – aber das musst du mir noch beweisen, dass du nicht falsch liegst :))))

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